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Interview mit der LpB für den neuen Leitfaden zu Jugendbeteiligung

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Sebastian Müller im Gespräch mit Gisela Erler, Staatsrätin für Beteiligung

Wie ist Ihre Initiative entstanden?

Nach der Landtagswahl 2011 wurde über Bürgerbeteiligung und Jugendbeteiligung viel diskutiert. Es war klar, dass etwas passieren sollte, aber die Verhandlungen zwischen der Koalition aus Grünen und SPD und der CDU Opposition wegen einer mögliche Wahlrechtsreform bei der Landtagswahl zogen sich hin.

Die Grünen wollten eine weitgehende Lösung mit Absenkung des aktiven Wahlalters bei der Landtagswahl auf 16 Jahre. Die CDU war dagegeben. Im März 2013 war noch wenig erreicht und wir beschlossen, dass es jetzt Druck von außen benötigte und gründeten unsere Initiative. Im April begannen wir mit unserer landesweiten Kampagne für verbindliche Kinder- und Jugendbeteiligung.

Gleichzeitig hatte der Dachverband der Jugendgemeinderäte eine kleinere Kampagne initiiert, die Jugendgemeinderäte als verbindliches Instrument für Jugendbeteiligung festschreiben sollte. Es war jedoch längst klar, dass es eine Methodenvielfalt bei Beteiligungsinstrumenten und -Formaten braucht und mit einem Fokus alleine auf Jugendgemeinderäte eine Kinderbeteiligung nicht abgedeckt war.

Welche Formulierungen und Inhalte des § 41a GemO spiegeln Ihre Ziele wider?

Der § 41a der Gemeindeordnung von Baden-Württemberg (GemO) erklärt Kinder- und Jugendbeteiligung zu einer Pflichtaufgabe der Gemeinde – nicht einfach als netten Zusatz oder einer Gnade gegenüber jungen Menschen. Er geht auch von kompetenten jungen Menschen aus, die selbst wissen was sie wollen und nicht bevormundet werden müßen von Erwachsenen.

Gerade das verändert die Dynamik. Die Akteure müssen nicht mehr begründen, warum Beteiligung gebraucht wird, sondern sie erfüllen ihre Pflicht, Angebote zu unterbreiten.

Gleichzeitig gibt es für die Kinder und Jugendlichen, so wie für Erwachsene auch, keine Pflicht sich politisch zu beteiligen. Auch das zeichnet eine Demokratie aus.

Darüber hinaus gibt es ein einfaches Verfahren, einen Jugendgemeinderat durchzusetzen und seine Rechte sind umfassend geregelt bis hin zum Budgetrecht – das ist alles vorbildlich. Im Rückblick hat unsere Kampagne einen sehr guten Prozess angestoßen, in dessen Verlauf unsere wesentlichen Forderungen vom Landtag berücksichtigt wurden.

Mit welchen Forderungen konnten Sie sich nicht durchsetzen?

Wir hätten gerne ein Verbandsklagerecht gehabt. Damit Jugendverbände, wie etwa die Jugendringe oder etwa die Pfadfinder klagen können. Jugendliche oder Kinder werden kaum selbst zum Verwaltungsgericht gehen und ihre verletzten Rechte durchsetzen. Dafür braucht es Fürsprecher, so wie in anderen Bereichen – wie etwa bei den Behindertenverbänden – auch.

Und dann hätte es eine Informationskampagne vom Land und den Kommunen benötigt – etwa ein Anschreiben an alle Kinder und Jugendlichen, um sie darüber zu informieren, sowie eine ordentliche Website und Social Media-Kampagne und ein Aufnahmen in den Bildungsplan. Aber Beteiligung und Schule laufen sich strukturell leider häufig zuwider.

Welche Wirkung erhoffen Sie sich von der Neuformulierung?

Mehr Beteiligung! Und dann auch ein Umdenken bei den Bürgermeister*innen und in der Verwaltung. Es ist ja einfach wenn ich im Rathaus sitze und vielleicht noch mit meinen Amtsleitern und dem Gemeinderat spreche. Aber zum gemeinsamen Gestalten braucht es auch die Leute außerhalb des Rathauses. Das ist sicher ein langer Weg, eine gesetzliche Regelung ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber auch das Denken und der eigene Anspruch muss sich ändern. Bei den Gemeinden, die Angebote machen, aber auch bei den Bürgern, die Initiative zeigen müssen, wenn sich etwas ändern soll. Aktiver Bürger zu sein braucht Zeit, Kraft und auch Kompetenzen, egal wie alt man ist.

Haben Sie weitere Forderungen bezüglichen der Kinder- und Jugendbeteiligung an die (Landes-) Politik für die Zukunft?

Die (Landes-) Politik sollte verstärkt dazu beitragen, Kompetenzen zum politischen Engagement zu vermitteln. An Kinder in der Schule, aber auch an uns Erwachsene. Das ist zum einen die Fähigkeit, sich zu informieren: Wie erkenne ich Fake News? Wie diskutiere ich auf Social Media? Wie schaffen wir es, dass wir nicht zu einer simulativen Demokratie verkommen, in der den Bürgern eine Beteiligung über die Gestaltung der Spielstraße oder des neuen Sportplatzes vorgespielt wird, während wichtige Fragen und Entscheidungen an Märkte, nicht-staatliche und nicht demokratisch legitimierte Akteure delegiert werden?
Dafür muß die Politik auf allen Ebenen mehr Angebote schaffen. Weiterlesen

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Anne Lütkes: „Kommunen müssen zukünftig Jugendliche bei vielen Dingen zwingend beteiligen“

Anne Lütkes ist die Regierungspräsidentin von Düsseldorf. Sie hat Jura studiert und ist Expertin für öffentlichen Verwaltung. Daneben ist sie die Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerkes. Sie geht davon aus, dass der neue § 41a Verwaltungshandeln nur besser machen kann und sich die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen bald als ganz normal eingespielt haben wird.

Frage: Frau Lütkes, im neuen Paragraph 41a der Gemeindeordnung von Baden-Württemberg heißt es: „Die Gemeinde soll Kinder und muss Jugendliche bei Planungen und Vorhaben, die ihre Interessen berühren, in angemessener Weise beteiligen.“ Was genau bedeutet das denn für die Gemeinden?
Das bedeutet ganz einfach, dass die Kommunen zukünftig Jugendliche bei vielen Dingen zwingend beteiligen müssen und das nicht nach Lust und Laune. Bezüglich der Kinder ist das etwas eingeschränkt. Bei einer Soll-Vorschrift ist die Kommune sehr stark gebunden, da mit dieser Formulierung der Gesetzgeber für den Regelfall eine Beteiligung der Kinder vorgesehen hat. Nur im Ausnahmefall, nämlich bei einer atypischen Fallgestaltung oder besonderen Umständen, ist der Behörde ein Ermessen eingeräumt. Damit haben wir eine klare Verbesserung der bisherigen Rechtslage, die mit einer Kann-Bestimmung für Jugendliche wesentlich unverbindlicher gefasst war.

Anne Lütkes, Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerks und Regierungspräsidentin von Düsseldorf

Anne Lütkes, Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerks und Regierungspräsidentin von Düsseldorf Copyright: Bezirksregierung Düsseldorf

Frage: Und was machen wir, wenn sich Kinder und Jugendliche gar nicht für die betreffenden Themen interessieren?
Dann werden sie sich am Mitbestimmungsprozess eben nicht beteiligen. Die Erfahrung zeigt aber, dass Kinder und Jugendliche, wenn sie denn gefragt werden, großes Interesse an Beteiligungsprozessen haben. Wichtig ist hier aber, dass sie kind- bzw. jugendgerecht ablaufen.

Frage: Was heißt das konkret?
Beteiligung von Kindern und Jugendlichen funktioniert dann richtig gut, wenn Moderatorinnen und Moderatoren für Kinder- und Jugendbeteiligung diesen Prozess moderieren. Deshalb bilden wir als Deutsches Kinderhilfswerk seit vielen Jahren entsprechende Fachkräfte aus.

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Interview mit Florian Braune:

Florian Braune ist Rechtsanwalt in Freiburg und war von 2002 bis 2009 für eine junge Liste Stadtrat in Freiburg und hat sich viel mit dem Thema Jugendbeteiligung beschäftigt. Zuvor war er bereits von 1997 bis 2002 Mitglied des Jugendhilfeausschusses und im Vorstand des Stadtjugendrings. Er hat in Freiburg den ersten Jugendgemeinderat mit-initiiert und diesen über mehrere Jahre auf verschiedenen Ebenen begleitet.

Frage: Was würde sich ändern, wenn der von der Kampagne geforderte Vorschlag beschlossen würde?

Florian Braune: In der jetzigen Fassung des Gesetzes („kann“) können die Erwachsenen die Meinung der Kinder und Jugendlichen bei Entscheidungen einbeziehen. Sie müssen es nicht und machen es in der Regel auch nicht. Hiergegen haben die Jugendlichen keine (rechtlichen) Möglichkeit vorzugehen. Nach der von der Kampagne vorgeschlagenen Änderung werden die Gemeinden verpflichtet („muss“) ihre Kinder und Jugendlichen in die Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen.

Frage: Wie würden sich die Änderungen auf die Rechtsposition von Jugendgemeinderäten auswirken?

Florian Braune: Auch in der vorgeschlagenen Fassung der Gemeindeordnung muss die Gemeinde keinen Jugendgemeinderat einführen. Sie muss nur ihrer Verpflichtung auf Beteiligung nachkommen. Hier muss meine Erachtens jede Gemeinde einen eigenen Weg der Beteiligung finden. Dieser kann und muss sich auch immer wieder ändern. Hat sie sich aber entschieden einen Jugendgemeinderat einzuführen, spricht vieles dafür, dass nur durch diesen die vorgeschriebene Beteiligung zu erfolgen hat. Im Ergebnis besteht bei dieser Auffassung dann eine Beteiligungsverpflichtung des Jugendgemeinderats.

Nach dem Vorschlag hat der Jugendgemeinderat aber kein allgemeinpolitisches Mandat sondern muss nur in den Fragen in denen die Interessen von (Kindern und) Jugendlichen berührt sind, gehört werden.

Frage: Wie wirkt sich eine Pflicht zur Beteiligung aus? Kann dann jeder Klagen? Was werden die Gemeinden beachten müssen?

Florian Braune: Normalerweise ist nur derjenige Klagebefugt der geltend macht in eigenen Rechten verletzt zu sein. Deshalb könnte weder ein einzelner Jugendliche noch jemand anderes Klagen. Um hier einen Ausgleich zu schaffen, soll eine Klagebefugnis von Trägern der freien Jugendhilfe eingeführt werden. Solche Befugnisse stehen z.B. auch Umweltverbänden im Planfeststellungsverfahren zu. Dies hat sich dort bewährt. Inwiefern diese Klagebefugnis ein „scharfes Schwert“ ist, kann ich derzeit nicht voraus sagen, da Prozesse auch mit Kosten verbunden sind und die Träger der freien Jugendhilfe meistens von den Gemeinden bezuschusst werden. Zumindest kann so eine gerichtliche Überprüfung stattfinden.

Frage: Ist aus deiner Sicht eine solche Rechtspflicht – wie sie es schon in Schleswig-Holstein gibt – sinnvoll?

Florian Braune: Ich bin ein bisschen zwiegespalten: Auf der einen Seite finde ich es immer Toll wenn Kinder und Jugendliche sich ihre Rechte von neuem erkämpfen. Auch bin ich davon überzeugt, dass sich die besten Argumente unter Berücksichtigung der Sachlage durchsetzen. Haben die Jugendlichen gute Argumente fliessen diese in die Entscheidungsfindung mit hinein. Außerdem ist es bislang nicht immer so, dass die Belange der Kinder- und Jugendlichen unter den Tisch fallen. Oft wissen auch die Erwachsenen Besser was gut für die Kinder und Jugendlichen ist.

Auf der anderen Seite ist die Einbeziehung von weiteren Interessen und Meinungen oft mühselig und es werden nur die berücksichtigt, die am lautesten schreien. Dies kann zu einer Nimby-Kultur führen. Deshalb kann die Rechtspflicht – und der Vorschlag für Baden-Württemberg ist weitergehend als die Gesetzeslage in Schleswig-Holstein – auf jeden Fall zu einer besseren Beteiligung führen. Allerdings braucht es auch Kinder- und Jugendliche die mitmachen und sich für ihre Belange interessieren.